Glossar

Die folgenden Begriffe lassen sich unterschiedlich definieren und verstehen. Daher wollen wir unser Verständnis der von uns gewählten Formulierungen an dieser Stelle kurz erläutern.
Ziel ist es, möglichst inklusiv und präzise zu formulieren, keine Menschen zu diskriminieren und trotzdem  für ein breites Spektrum an Menschen verständlich zu bleiben. Dieser Prozess ist anspruchsvoll und wird vermutlich nie abgeschlossen sein – wir sind daher stets offen für konstruktive, pro-feministische Kritik und behalten uns vor, Formulierungen von Texten zu ändern, wenn wir Passenderes finden.
Die Grundlage für dieses Glossar wurde von einer Master-Studiengruppe der Alice-Salomon Hochschule Berlin erarbeitet und bereitgestellt. Vielen Dank an Euch! <3

Intersektionaler Feminismus

Die Welt wird nach den Vorstellungen von weißen Cis-Männern kreiert und orientiert sich an deren Standards. Alle, die keine weißen Cis-Männer sind, erfahren in irgendeinem Sektor der Gesellschaft strukturelle, institutionelle, direkte oder indirekte Diskriminierung. Es ist ein hierarchisches System, in dem Menschen eingegliedert und nach “gender, race, class und health” abgestuft werden. Eine Schwarze, behinderte, lesbische Frau erfährt beispielsweise Mehrfachdiskriminierung (intersektional). Der Schwarze Feminismus sieht die Mehrfachdiskriminierung und kämpft intersektional für alle Frauen. Schwarze Frauen sind von zentraler Bedeutung für den Kampf für Freiheit und Gleichheit, haben sich bereits über Jahrhunderte hinweg organisiert und für ihre Rechte gekämpft. Zum Beispiel hat sich 1974 in den USA eine Gruppe von Schwarzen, lesbischen Frauen gefunden und das Combahee River Collective gegründet, welches den Begriff Mehrfachdiskriminierung mitprägten und somit die Diskriminierung auf den unterschiedlichen Ebenen deutlich machten.

Gendersensibel

Gendersensibilität beschreibt die Berücksichtigung von unterschiedlichen, dem Geschlecht entsprechenden Sozialisierungen beim Handeln einer Person. Es geht daher nicht um die biologischen oder anatomischen Unterschiede von „Geschlecht“ sondern um einen sozialisierten Unterschied zwischen den Geschlechtern und damit einem gesellschaftliches Konstrukt. Gendersensibilität in der Humanitären Hilfe bedeutet also auch, Aspekte in der Notversorgung zu berücksichtigen, die aufgrund patriachale Strukturen zurückgehen.

Frauen

Unser Saferspace in Griechenland richtet sich primär an Frauen und Kinder auf der Flucht. Wir haben uns dazu entschieden, den Begriff Frauen zu verwenden, da dies ein international verständlicher und kulturübergreifender Begriff ist und wir möglichst klar darin sein möchten, dass das Angebot ein Schutzraum sein soll. Unser Ziel ist es, den Raum für alle Menschen zu öffnen, die von patriarchaler Gewalt betroffen sind. Da von vielen Cis-Männern ein großer Teil der patriarchalen Gewalt ausgeht, schließen wir diese aktuell aus. Wir sehen Geschlechterbinaritäten als Teil des Problems und die Überwindung dessen als unabdingbar. Wir stehen diesbezüglich in einem stetigen Prozess und freuen uns über Rückmeldungen dazu.

FINTA

Der Begriff FLINTA setzt sich aus den folgenden Wörtern zusammen: Frau (evtl. Cis-Frauen); Lesbe (homosexuelle Frauen); Intersexuelle Personen; Nicht-binäre (weder männlich noch weiblich); Trans* Personen (trans Männer, trans Frauen, Trans*gender); Agender (kein Geschlecht). Ziel der politischen Bezeichnung ist, allen Menschen, die auf Grund patriachaler Strukturen diskriminiert werden, einen Raum zu geben. So gibt es beispielsweise Veranstaltungen, zu denen explizit nur FLINTA-Personen eingeladen sind, um das Sicherheitsempfinden und Empowerment einer Community zu stärken, die gleiche Diskriminierungserfahrungen teilt.

Die Website „Kritische Männlichkeit – Ein Blog für pro-feministische Männer“ stellt ein breites Repertoire an Erklärungen und Begriffen bezüglich Gender, sexueller Orientierung, Machtverhältnissen- und Konstrukten bereit.

Das “Queer Lexikon – Deine Online-Anlaufstelle für sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt” beschreibt alles rund um sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt:

Safer Space

Das Konzept „Safe Space“ entwickelte sich während der zweiten feministischen Bewegung in den 60er Jahren in den USA. Damals ging es vor allem um Schutzräume für Homosexuelle oder Frauen, in denen Geschlechtergerechtigkeit thematisiert wurde. Heute sind Safer Spaces Orte, in denen sich Gruppen von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen (z.B. auf Grund des Geschlechts oder Genders, des sexuellen Begehrens, ihrer Nationalität, ihrer Hautfarbe oder ihrer körperlichen Konstitution) treffen. ROSA organisiert an verschiedenen Geflüchtetenunterkünften Safer Spaces, die durch Tücher und den LKW vor der Sicht von außen geschützt sind. Mit Zelten und dem Innenraum des LKWs versuchen wir einen sicher(er)en Ort für Empowerment, den Austausch von Erfahrungen und medizinische und gesundheitliche Workshops und Beratungen zu gestalten. Unsere Selbstbezeichnung als Rolling Safespace ist Ausdruck einer Vision und verfolgt den Ansatz, möglichst viele Grenzen, Hierarchien und Wertungen abzubauen.

Hier ein Interview der Tagesschau mit der Soziologin Natasha A. Kelly zum Thema Safe(r) Space mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik: “Wir schaffen keine Safer Spaces um Menschen zu ärgern, sondern um unsere Kinder zu schützen

Viele Organisationen verfassen eigene Safer Space Guidelines. Hier ein Beispiel von Opensignalpdx

Die Mental Health Commission of Canada hat außerdem ein Papier veröffentlicht, in dem genau beschrieben wird, wieso das Wort „Safer“ verwendet wird und worauf geachtet werden muss, um diese Räume zu schaffen: Safer Space Guidlines

Empowerment

Empowerment beschreibt einen Prozess der Selbstermächtigung im privaten oder öffentlichen Leben. Empowerment soll dazu führen, die eigenen Interessen selbstbestimmt durchsetzen zu können. Der erlernten eigenen Unterordnung und einem fehlenden Selbstbewusstsein kann durch einen Selbststärkungsprozess entgegengewirkt werden. Eigene Ressourcen und Kompetenzen können zum Beispiel durch einen Wissens- und Erfahrungsaustausch erkannt werden. Da sich die Lebensrealität jedes Menschen unterscheidet, beschreibt der Begriff auch das zwischenmenschliche Motivieren und Unterstützen, den Erfahrungsaustausch und die Ermutigung. Jeder Mensch hat eine andere Lebenserfahrung, andere Rechte und Privilegien. Empowerment bietet Raum für Austausch und Unterstützung und ermöglicht so eine individuelle und gemeinschaftliche Stärkung. Auch in politischen Entwicklungen hat Empowerment zu Handlungsfähigkeit beigetragen z.B. in der Frauenbewegung. Durch Interessenverbände sammeln sich Menschen, die in unterschiedlichen Lebensbereichen Ungerechtigkeit erfahren und können so als Gruppe dagegen vorgehen und eine Veränderung schaffen.

Empowerment kann dazu beitragen, dass Geflüchtete in ihrer Handlungsmacht bestärkt werden und sich dadurch besser für ihre eigenen Bedürfnisse einsetzen und sich gegen weitere Diskriminierungen wehren können. Daneben bekommen selbstbewusste Geflüchtete meist einfacher Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (z.B. Sicherheit, Bildung und Einkommen). In den ROSA Safer Spaces soll Empowerment durch gegenseitigen Austausch, emotionalen Beistand und dem Erkennen und Weitergeben eigener Fähigkeiten sowie dem Erlernen von neuen Fähigkeiten im Rahmen von Workshops und Gesprächskreisen ermöglicht werden.

Zum inhaltlichen Einlesen ein sehr verständlicher Beitrag von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Postkolonialismus

Postkolonialismus bedeutet nicht nur die Zeit nach dem Kolonialismus. Postkolonialismus ist eine eigene Wissenschaftsrichtung, die sich mit der kolonialen Praxis, ihren Grundlagen, ihren Folgen und ihren Langzeitauswirkungen auseinandersetzt. Der Begriff Postkolonialismus kann also als eine Anregung zu einem kritischen Diskurs über die Kolonialität der Macht und die Auswirkungen des Kolonialismus verstanden werden. Der Postkolonialismus kritisiert die bis heute bestehenden verschiedenen (subtilen) Formen neokolonialer Herrschaft in Form westlicher Dominanz in Wissensstrukturen sowie politischen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen, welche unter anderem durch rassistische Rechtfertigkungspraktiken aufrechterhalten werden. Er widmet sich der Frage, wie eine vollständige Dekolonialisierung gelingen und es zu einer Gleichberechtigung und Unabhängigkeit aller Menschen und Staaten kommen kann.

Hier findet ihr viele Beispiele, die mit dem Postkolonialismus in Verbindung stehen.

Hier gibt es ein spannendes Interview über die blinden Flecken des Postkolonialismus.

Neokolonialismus

Der Neokolonialismus beschreibt die Beziehung zwischen den Staaten nach der Kolonialzeit. Nach dem Gewinn der Unabhängigkeit waren die ehemaligen Kolonien auf wirtschaftliche Unterstützung angewiesen. Neokolonialismus steht für eine Politik der mächtigen Staaten, die sich um eine wirtschaftliche Vorherrschaft in einem Gebiet souveräner Staaten bemüht. Im Mittelpunkt steht die Macht des globalen Nordens über internationale Ressourcen durch die Kontrolle der Märkte und des Geldes. Neokolonialismus führt zu massiven Hierarchie- und Machtverhältnissen, die rassistisch, kolonial und klassistisch begründbar sind. Es gibt also trotz Ende der Kolonialzeit immense Asymmetrien im Weltsystem. Rohstoffe und deren Gewinnung sowie einfachste Verarbeitungsprozesse mittels preiswerter Arbeitskräfte werden weiterhin aus dem globalen Süden für wenig Geld erworben; daraus werden im globalen Norden hochwertige und teure Produkte mithilfe von Fachkräften und modernen Technologien hergestellt. Der Neokolonialismus wird durch den Kapitalismus, die Globalisierung und die Verbreitung westlicher Werte und Denkweisen vorangetrieben. Aus den ehemaligen Kolonialmächten konnten sich so reiche Industrienationen entwickeln, die zur Sicherung ihrer Vormachtstellung nicht mehr andere Länder erobern, sondern von deren wirtschaftlicher Abhängigkeit profitieren.

Hier findet ihr noch viele weitere Informationen.